Menschenrechte: Luxus oder Notwendigkeit?
In einer Welt, in der die Furcht vor Terrorismus, Krieg und einem „Kampf der Kulturen“ erneut allgegenwärtig ist, ist es mehr denn je wichtig, sich für die weltweite Anerkennung der Menschenrechte einzusetzen.
Was aber versteht man unter Menschenrechten?
In der Schlussakte der berühmten Helsinki-Konferenz aus dem Jahre 1975 formulierten West und Ost als politisches Ziel für ein gemeinsames Europa „die Verwirklichung der Menschenrechte“, die sich „aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind“. Sie seien, heißt es weiter, ein „wesentlicher Faktor für den Frieden“.
Die Menschenrechtsidee geht von der Überzeugung aus, dass jeder Mensch einzig aufgrund seiner Existenz bestimmte unveräußerliche Rechte besitzt. Sie sind ihrem Wesen nach absolut und zu allen Zeiten und überall auf der Erde als dieselben uneingeschränkten Rechte wirksam. Hierzu zählen zum Beispiel das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz und das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit.
Menschenrechte sind gleichsam angeboren und somit „überstaatliche“ Grundrechte, die von einem Staat nicht „gewährt“ werden können noch eine besondere Zugabe im demokratischen Rechtsstaat darstellen, wie manch einer glaubt. Sie können von staatlicher Seite nur bekräftigt und in der Folge geschützt werden. Menschenrechte sind auch dann wirksam oder gültig, wenn sie staatlicherseits nicht anerkannt oder mit Gesetzen willkürlich eingeschränkt werden. Deshalb können sie zwar verletzt und unterdrückt, aber ihrer Natur nach niemals effektiv verboten oder in ihrer Existenz aufgehoben werden. Menschenrechte sind einfach da, auch wenn das jemandem nicht gefällt. Alle Unrechtssysteme und Diktaturen dieser Welt scheitern früher oder später an diesem Umstand.
Dennoch: Die bloße philosophische Idee, dass alle Menschen gleiche ureigene Rechte innehaben, ist KEINE Garantie dafür, dass diese Rechte auch faktisch anerkannt werden. Von den ersten amerikanischen Verfassungen mit Grundrechtsgarantien bis zur Abschaffung der Sklaverei vergingen fast 100 Jahre. Und weitere 100 Jahre mussten vergehen, bis Farbige und Weiße auf dieselben Schulen gehen durften. Wenn selbst in Ländern wie den Vereinigten Staaten, die – trotz der aktuell bekannt gewordenen Missstände – unzweifelhaft als Wegbereiter der modernen Menschenrechtsinstrumente gelten dürfen, die Menschenrechtswirklichkeit der erklärten Absicht oft jahrzehnte- und sogar jahrhundertelang hinterherhinkt, dann zeigt das nur, wie es in weniger freiheitlich-demokratischen Gefügen um die Anerkennung und den Schutz der individuellen Menschenrechte tatsächlich bestellt ist. Milliarden von Menschen auf der Erde wissen noch nicht einmal, dass es Menschenrechte im beschriebenen Sinne gibt, geschweige denn, dass sie einen Anspruch auf ihren Schutz und ihre Verwirklichung haben.
Erst in der Neuzeit, nach hunderten Jahren zähen Ringens und vor dem Hintergrund der Grauen des Zweiten Weltkriegs, konnte die Menschenrechtsidee einen ersten globalen Durchbruch erringen, als sich 51 Staaten zu den Vereinten Nationen zusammenschlossen. In ihrer am 26. Mai 1945 in San Francisco verabschiedeten Satzung (Charta) erklärten die Vereinten Nationen als eines ihrer Ziele, „die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“.
Drei Jahre später, am 10. Dezember 1948, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen schließlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Grundpfeiler der gesamten modernen Menschenrechtsgesetzgebung, und verkündete damit erstmals den Anspruch der Menschenrechte als universellen Standard für alle Nationen der Erde.
Ein steiniger Weg
In den letzten 60 Jahren hat die weltweite Verbreitung des Menschenrechtsgedankens große Fortschritte verzeichnet, dennoch ist das Anliegen der Allgemeinen Erklärung auch nicht annähernd verwirklicht. Man kann sich zu Recht fragen, warum das so ist.
Einer der Gründe liegt darin, dass Menschenrechte immer auch Abwehrrechte des einzelnen Menschen und Bürgers gegen die drohende Allmacht eines Staates sind. Eine Anerkennung und Verwirklichung von Menschenrechten geht grundsätzlich und direkt mit einer staatlichen „Herrschaftsbegrenzung“ einher und setzt diese sogar voraus. Für eine Vielzahl von Staaten ist dieser Umstand nicht unproblematisch. Eine Diktatur oder ein Einparteienstaat kann Menschenrechte nämlich weder anerkennen noch verwirklichen, ohne sich selbst damit ein Ende zu setzen. Auch nur ein einziges uneingeschränktes Menschenrecht, wie etwa die Meinungsfreiheit und in ihrem Gefolge die Demonstrationsfreiheit, hätte die Macht, jede Diktatur zu stürzen. Und das ist bekanntlich das letzte, was Diktaturen wollen.
Die staatliche Mindestvoraussetzung zur Anerkennung und zum Schutz der Menschenrechte ist in jedem Fall eine innerstaatliche Verfassung, die alle Menschenrechte rechtswirksam und nicht nur als Absichtserklärung garantiert. In der Bundesrepublik Deutschland erfüllt das Grundgesetz mit seinen Grundrechtsartikeln diese Aufgabe. Nur so sind diese Rechte bei ihrer Verletzung einklagbar. Hierzu zählt auch die Unterzeichnung rechtswirksamer internationaler Pakte zur Durchsetzung von Menschenrechten, welche die Allgemeine Erklärung präzisieren und ihr Anliegen Schritt für Schritt verwirklichen helfen sollen.
Eine weitere Mindestvoraussetzung zum Schutz der Menschenrechte ist die staatliche Gewaltenteilung. Ohne Trennung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung in unabhängige Staatsorgane ist eine Sicherung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten unmöglich, wie man aus der Geschichte ersehen kann. Im Endresultat heißt das, dass nur freiheitlich-demokratische Verfassungsstaaten jemals in der Lage sein werden, die Menschenrechte dauerhaft zu schützen und zu verwirklichen – und selbst die tun sich nachweislich oftmals schwer.
Die Genialität der Menschenrechtsidee liegt darin, dass sie die Staatsordnung durch die erforderliche Herrschaftsbegrenzung nicht etwa schwächt, wie man meinen könnte, sondern stärkt. Jedes Staatswesen, das Menschenrechtsschutz als vordringlichste Aufgabe begreift, wird proportional in dem Maße gestärkt, wie es Menschenrechte bedingungslos anerkennt und schützt. Freie Menschen sind die einzige Garantie für eine langlebige Staatsordnung. Dieses Prinzip funktioniert natürlich auch umgekehrt. Es gehört zur besonderen Tragik von Gewaltherrschern und Menschenrechtsverletzern jeder Couleur, dass sie diese gesetzmäßigen Zusammenhänge nicht wahrhaben wollen. Die Verweigerung von Menschenrechten verhindert nicht etwa den Verlust ihrer Macht, wie sie glauben, sondern führt ihn letztlich erst herbei.
Menschenrechte kennen als erster Schritt zu ihrer Achtung
Die Ereignisse vom 11. September sind ein ewiges Mahnmal dafür, wie weit die vollständige Missachtung des Menschenrechts auf Leben, Freiheit und Sicherheit gehen kann. Die schockierende Schlagartigkeit dieser Terroranschläge darf aber nicht vergessen machen, dass die Missachtung von grundlegenden Menschenrechten ein globales Problem ist, auf dessen Konto nicht tausende, sondern unzählige Einzelschicksale gehen. Jede Minute sterben Menschen, weil sie die falsche Hautfarbe haben, die falsche Religion, die falsche Nationalität, oder einfach nur, weil sie frei sein oder in Sicherheit leben wollen. Wenn heute in Südostasien ein Flüchtlingsschiff mit 500 Frauen und Kindern im Meer versinkt, dann sind das keine fünf Zeilen in der Zeitung von gestern.
Menschenrechte können nur dort verwirklicht werden, wo sie auch bekannt sind – und eingefordert werden. Sie sind, wie dargelegt, KEINE historische Selbstverständlichkeit. Ihre Achtung ist selbst in Verfassungsstaaten kein Automatismus. Letztlich obliegt ihre Verwirklichung einem Bewusstseinsprozess, der beim einzelnen Bürger beginnen muss. In den Jahrhunderten hinter uns waren es immer nur die Betroffenen selbst gewesen, und einzelne mutige Bürger, die erfolgreich dafür gekämpft haben, dass Menschenrechte in rechtskräftige Verträge und wirksame Verfassungen gegossen wurden und ihre Befolgung erzwungen wurde.
Und genau hier liegt das Manko der Menschenrechtsidee: Viel zu wenige wissen, wie der universelle Standard der Menschenrechte wirklich aussieht, den anzustreben sich die Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben. Wenn man seine Rechte nicht kennt, können sie einem auch weggenommen werden, ohne dass man rechtzeitig protestiert. Wer weiß zum Beispiel, dass das politische Stiefkind Datenschutz letztlich ein Bemühen ist, das Menschenrecht auf die Unverletzlichkeit der Privatsphäre umzusetzen?
Wie sehr und in welchem Ausmaß wir schon jetzt zu gläsernen Menschen geworden sind, lässt die aktuelle Diskussion zur internationalen Ausspähung von Privatpersonen und Firmen nur erahnen.
Um das öffentliche Bewusstsein über die Menschenrechte und ihre fundamentale Wichtigkeit für Frieden und Freiheit zu stärken und die Vision eines von Menschenrechten geprägten Zusammenlebens zu verwirklichen, haben die Vereinten Nationen zahlreiche Kampagnen ins Leben gerufen, um unser aller Bewusstsein zu diesem Thema zu stärken.
Sie können dieses Anliegen unterstützen. Lesen und verstehen Sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, und verbreiten Sie den Menschenrechtsgedanken.
Die Aufklärung über Menschenrechte und ihre Achtung wird letztlich mehr Menschen retten, als jede Überwachungskamera es je tun kann.